The Virginian church in Neo-Russian style is perched above the river Raut in Old Orhei

MEDIA CREW MITTE

Chisi… was? Chisi… wo? Richtig ist: Chisinau,
gesprochen Kischinau, oder – zu Sowjetzeiten –
Kischinjow. Dann wieder Chisinau, was im Altrumänischen so viel wie „Siedlung an der Quelle“ bedeutet. Obwohl die Metropole mit gut
800000 Einwohnern größer ist als die europäischen Hauptstädte Oslo, Kopenhagen, Dublin
oder Lissabon, kennt sie hierzulande praktisch
niemand. Ebenso wenig wie die Republik Moldau selbst, auch Moldawien oder Moldova genannt.
Nach dem diesjährigen Eurovision
Song Contest (ESC) dürfte der Bekanntheitsgrad sich erhöht haben.
Denn das Winzlingsland hat mit
dem jazzig angehauchten Ohrwurm „Hey Mamma“ die Herzen von Millionen Pop-Fans in
aller Welt erobert und ist auf
einen beachtenswerten dritten
Platz geklettert.
Dass das kleine Land an der
Nato-Außengrenze normalerweise lediglich von Amerika und der
EU auf der einen Seite und Russland
auf der anderen umworben wird,
stimmt auch die Touristikmanagerin Taniusa
Rotundu traurig. „Umso wichtiger ist uns dieser
fantastische dritte Platz beim ESC. Selbst Menschen, die gar nichts mit Popmusik am Hut haben, freuen sich riesig. Wir hoffen jetzt auf viele Touristen.“
Ob diese deshalb den Weg in die Republik
Moldau finden werden, ist allerdings fraglich.
Interessanter ist da schon Transdnestrien, respektive Transnistrien, die abtrünnige prorussische Republik im Osten des Landes. Zwar wird
die Transdnestrische Moldauische Republik völkerrechtlich nicht anerkannt, existiert aber doch
unter dem Schutz des Kreml.
Mit dem Bummelzug
zurück in die Sowjetunion
Wer den Bummelzug von Chisinau nach Tiraspol, die Hauptstadt der Separatisten, besteigt,
macht praktisch eine Zeitreise in die Sowjetunion zu Breschnews Zeiten. Jeden Morgen
fährt die Bahn die Strecke, 71 Kilometer, in zwei
Stunden. Man besorgt sich beim „Immigration
Office“ eine Aufenthaltsgenehmigung für zehn
Stunden und sollte gleich ein paar Transdnestrische Rubel tauschen. Denn, ja, es gibt auch eine
eigene Währung.
Zurück in Chisinau. Auch diese Stadt würde
vermutlich keinen Schönheitswettbewerb gewinnen. Triste stalinistische Betonklötze, dazwischen hier und da historisches Gemäuer.
Chisinaus Charme erschließt sich nicht durch
die Architektur, sondern durch die Einwohner.
So manch ein Tourist schwärmt gar von den
herzlichsten Menschen der Welt. Das ist sicherlich etwas übertrieben. Die Moldauer sind aber
in der Tat ein liebenswertes Volk – mit nur noch
2,8 Millionen Einwohnern, ohne Transdnestrien. Seit der Unabhängigkeit 1991 kehrten eine
Million Bürger ihrem Land den Rücken.
Chisinau ist das politische, wirtschaftliche und
kulturelle Zentrum des Landes. Hier sind die
bedeutenden Theater und Galerien, hier werden Lesungen gehalten oder Hits wie „Hey
Mamma“ geschrieben und auf die Bühne gebracht. Wer Chisinau verlässt, ist schnell im
Grünen. Die Landschaft Moldawiens kann man,
ganz anders als die im einstigen Mutterland Rumänien, wohl kaum als spektakulär bezeichnen.
Sie ist sanft, harmonisch, beruhigend. Moldawien ist ein Land des Weines. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion entstanden viele kleine Weingüter. Meist sind es Familienbetriebe, die oft auch ein paar Zimmer an Touristen vermieten. Besonders beliebt sind diese Anwesen bei Hochzeitsgesellschaften. Und inzwischen stellen die Kleinunternehmen sogar einen
recht passablen Tropfen her.
Das war nicht immer so. Zu Sowjetzeiten wurde auf industrielle Massenproduktion für den
gesamten Ostblock gesetzt. Der „Schampanski“-Sekt war der absolute Renner. Er reifte zum
Beispiel in Cricova, dem berühmtesten Depot
des Landes. Über eine Million Flaschen Wein
und Sekt lagern hier. Dazu rund 30 Millionen Liter Wein in Fässern. Mit einem Elektro-Karren
geht es hinab in den Untergrund. 60 Kilometer
Labyrinth schlugen deutsche Kriegsgefangene
in den historischen Kalksteinbruch, bis zu 85
Meter tief.
Hier werden neben konventionellen Weinen
wahre Schätze gebunkert. Besonders stolz ist
man auf die annähernd komplette Sammlung
von Hermann Göring. Die Rote Armee beschlagnahmte die Nazi-Kollektion und brachte
die Flaschen 1947 nach Cricova. Die Tropfen
sind durchweg edel, darunter auch eine Batterie
Mouton-Rothschild Pauillac 1er Cru Classé.
Wert: 50000 Euro–die Flasche. Dagegen
nimmt sich die Sammlung von Bundeskanzlerin Angela Merkel vermutlich bescheiden aus.
Der Wert des Staatsgeschenks wird nicht benannt. Gleich nebenan lagern die Sorgenbrecher von Kremlchef Wladimir Putin.
Gut getrunken und gegessen wird auch bei
Anatolie Botnaru. Darauf ist der Ex-Jurist mächtig stolz. Er ist der Macher des Öko-Dorfs Butuceni, gesegnet mit Verstand, Bodenständigkeit
und Cleverness. Irgendwann stellte sich Anatolie die Sinnfrage, hängte seinen Job in der Kanzlei an den Nagel und sanierte ein uraltes Bauernhaus in Butuceni. Es sollte nicht bei dem
einen bleiben. Heute sind es 19, dazu ein SlowFood-Restaurant.
Alt Orhei wartet auf die
Aufnahme ins Unesco-Welterbe
Bei der Wahl des Dorfes bewies der kleine
Mann mit dem jungenhaft-schelmischen Gesicht Weitblick. Butuceni liegt im historischarchäologischen Komplex Orheiul Vechi (Alt Orhei), umschlossen von einer Schleife des Flusses Raut. Eine bunte Kalksteinvegetation, Einsiedlerhöhlen, ein Höhlenkloster mit Mönchbehausungen, tatarische, germanische und christliche Ruinen, die Marienkirche und ein als
wundertätig geltendes Steinkreuz machen die
Gegend einzigartig in Moldawien. Alt Orhei
wartet auf die Aufnahme in die Unesco-Welterbeliste.
Das hat sich unter hart gesottenen OsteuropaFans längst herumgesprochen. Friedrich Pfeiffer
ist einer von ihnen. Als der Wiener Dirigent mit
seinem Gastgeber über die Welt der Oper plaudern wollte, musste Anatolie allerdings passen.
„Vivaldi, Georges Bizet … All das war mir total
fremd. Ich hatte diese Worte mein Lebtag nie
vernommen“, erinnert sich der Unternehmer.
„Doch als ich zum ersten Mal diese Musik hörte, ging mein Herz auf. Wenig später wusste ich,
dass ich die Oper nach Butuceni holen werde.“
Also knüpfte Anatolie Kontakte und konnte
mit seiner Opern-Vision Künstler begeistern
und Offizielle überzeugen. Wenig später
stampfte er ein einfaches Amphitheater in den
Grund – ökologisch korrekt natürlich. Im vergangenen Sommer war es so weit. Unter Friedrich Pfeiffer schallte die Oper Rigoletto durchs
Tal der Raut, zur großen Freude des Publikums
und aller Beteiligten. Der österreichische Dirigent zeigte sich begeistert von der Professionalität der moldawischen Musiker: „Hervorragende Gesangsausbildung, alte russische Geigenschule, fantastische Chöre.“
Im Juni ist es wieder so weit, nach dem Vivaldi-Werk wird nun eines des Franzosen Georges
Bizet aufgeführt. Dann wird „Carmen“ das Dorf
verzaubern und die Besucher auf ihren Strohballen verführen. Musik baut eben Brücken,
egal ob Klassik oder Pop.
. Anreise: Ab Frankfurt nach Chisinau mit Lufthansa, www.lufthansa.com, oder Air Moldova,
www.airmoldova.md, Preis ab ca. 300 Euro.
. Unterkunft: Öko-Dorf Butuceni, Zimmer inkl.
deftigem moldawischem Frühstück, ab 30 Euro,
www.pensiuneabutuceni.md.
. Pauschal: Ein maßgeschneidertes Programm
stellt der Veranstalter Geoplan zusammen. Moldawien wird dabei oft als Reisebaustein mit Rumänien kombiniert, www.geoplan.net.
. Festival: Das internationale Open-Air-Festival
„descOPERA“ findet vom 9. bis 11. Juni im ÖkoDorf Butuceni statt, www.descopera.co.
. Auskunft: www.travel.md.
REISE-CHECK
»Vivaldi, Georges
Bizet … All das war mir
total fremd. Doch als ich
zum ersten Mal diese
Musik hörte, ging mein
Herz auf. Wenig später
wusste ich, dass ich
die Oper nach Butuceni
holen werde.«
Anatolie Botnaru,
Macher des Ökodorfs Butuceni